Arbeitszeiterfassung: Welche Folgen das BAG-Urteil für Unternehmen hat

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Isabelle Beyer

Veröffentlich am 14. November 2022

Arbeitszeiterfassung - Wecker, der von Händen nach oben gehalten wird

Flexible Arbeitszeiten, Vertrauensarbeitszeit, hybride Modelle – all das sind Entwicklungen, die sich in den letzten Jahren insbesondere durch die COVID-19 Pandemie beschleunigt haben, sich aber im Zuge der New-Work-Bewegung auch schon in den Jahren zuvor in zahlreichen Unternehmen zunehmender Beliebtheit erfreuten. Die anstehenden gesetzlichen Änderungen bei der Arbeitszeiterfassung dürften daher bei vielen Arbeitgebern zunächst auf Verwunderung stoßen, denn auf den ersten Blick erscheint die Arbeitszeiterfassung unflexibel und umständlich und eher rückständig als zukunftsweisend. 

Doch gibt es auch Vorteile, die ein neues Gesetz zur Arbeitszeiterfassung bieten kann? Welche Folgen hat die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Unternehmen? Und sind flexible Arbeitszeiten dann Geschichte? In diesem Artikel werden wir nicht nur die aktuelle Rechtslage zur Arbeitszeiterfassung beleuchten, sondern auch die Vor- und Nachteile sowie die häufigsten Fragestellungen erörtern, die sich aus dem Urteil des BAG im September 2022 ergeben haben. Wir erläutern außerdem, welche Möglichkeiten es gibt, die Arbeitszeiten der Mitarbeitenden schnell und digital zu erfassen, und vieles mehr. 

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Was bedeutet Arbeitszeiterfassung?

Beginnen wir mit der wichtigsten Frage: Was bedeutet Arbeitszeiterfassung eigentlich? Unabhängig von der Art des Unternehmens und den daraus resultierenden Tätigkeiten ist die Definition der Arbeitszeiterfassung für jede Art von Unternehmen die gleiche:

Unter Arbeitszeiterfassung (auch: Personalzeiterfassung) versteht man die Dokumentation der täglichen Arbeitszeit von Beschäftigten. Aus rechtlicher Sicht ist die Arbeitszeit der Zeitraum, in dem ein Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht zu erfüllen hat. Unbezahlte Pausen und Ruhezeiten zählen nicht zur Arbeitszeit.


Die allgemeine Regelung der Arbeitszeiterfassung ist im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) festgeschrieben, die Regelungen zum Umgang mit entsprechenden Daten im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG).

In den meisten Unternehmen wird die Zeiterfassung der Mitarbeitenden von der Personalabteilung angewiesen, durchgeführt und dokumentiert. Für die Dokumentation der Arbeitszeiten muss ein geeignetes System zur Kontrolle zur Verfügung stehen. Was die Mitarbeitenden während der Arbeitszeit tatsächlich leisten, muss nicht mit dem entsprechenden System überprüft werden.

Welche Arten von Arbeitszeiterfassung gibt es?

Ein System zur Erfassung der Arbeitszeiten von Arbeitnehmern kann sehr unterschiedlich aussehen und je nach Unternehmen und Anzahl der Beschäftigten stark variieren. Es kann in elektronischer oder nicht-elektronischer Form erfolgen. 

Die Arbeitszeiterfassung in nicht-elektronischer Form

Vor allem bei einer überschaubaren Anzahl von Beschäftigten werden eher einfache Formen der Arbeitszeiterfassung eingesetzt. Hier bietet sich die schriftliche, nicht-digitale Variante an. Sie ist in Deutschland derzeit wohl die häufigste Form, wenn auch nicht die praktischste. 

Die Arbeitszeiterfassung in nicht-elektronischer Form, d.h. mittels Niederschrift, kann in Form einer einfachen Tabelle oder eines Formulars erfolgen. Der/die Beschäftigte trägt seine Arbeitszeiten manuell in das Dokument ein und hält so Arbeitsbeginn, Arbeitsende und Pausenzeiten fest. Ein sogenannter “Stundenzettel” wird häufig auf Baustellen verwendet, und auch Aushilfs- oder Teilzeitbeschäftigte tragen ihre Arbeitszeiten oft in diese Art von Dokument ein. 

Dokumente zur schriftlichen Erfassung der Arbeitszeiten sind nicht genormt und können vom Unternehmen selbst angefertigt werden, ganz nach Belieben. Wichtig ist nur, dass die Arbeitszeiten genau festgehalten werden müssen. Die Unterlagen müssen zudem zwei Jahre lang sicher aufbewahrt werden.

Die elektronische Zeiterfassung von Mitarbeitenden

In vielen Branchen erfolgt die Zeiterfassung mit einer Stechuhr oder zumindest einem Gerät, das stark an das Relikt aus früherer Zeit erinnert. Mit Hilfe des Gerätes können sich die Mitarbeitenden bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende ein- und auschecken, z.B. per Chipkarte oder in besonders fortschrittlichen Unternehmen mit Fingerabdruck. Zum Gerät gehört ein entsprechendes PC-Programm, mit dem sich alle Daten bearbeiten und einsehen lassen. 

Die Arbeitszeiterfassung ist ebenfalls über andere digitale Tools, Online-Dienste oder per App möglich. Dabei handelt es sich um die moderne, digitalisierte Variante der nicht-elektronischen, schriftlichen Zeiterfassung. Durch die Digitalisierung der Arbeitszeiterfassung können die Arbeitszeiten einfach und ohne unübersichtlichen Papierkram gespeichert und archiviert werden. Die digitale Alternative eignet sich auch für Homeoffice oder Telearbeit und erfolgt auf Vertrauensbasis.

Die aktuelle Rechtslage zur Erfassung der Arbeitszeit

Das ArbZG ist seit 1994 geltendes Recht und gilt für alle in Deutschland beschäftigten Personen. Lediglich für Minderjährige und besondere Berufsgruppen gibt es zusätzliche Regelungen zur Arbeitszeit nach § 18 ArbZG, zum Beispiel im Jugendarbeitsschutzgesetz.

Nach dem Bundesdatenschutzgesetz und dem ArbZG ist es dem Unternehmen selbst überlassen, wie es die Zeiterfassung durchführt. Eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bestand bis dato nicht. Das ArbZG sieht derzeit nur eine Dokumentationspflicht für Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit vor.

Doch bereits im Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Unternehmen in allen EU-Mitgliedsstaaten künftig die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeitenden aufzeichnen müssen. Dementsprechend müssen sie also ein System einrichten, mit dem die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten präzise erfasst werden können. Vorausgegangen war eine Klage der spanischen Gewerkschaft Federación de Servicios de Comisiones Obreras gegen die Deutsche Bank in Spanien, diese forderte eine gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung. 

Das neue BAG-Urteil zur Arbeitszeiterfassung

Im Februar 2022 hat der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil einen Gesetzentwurf zur Vergütung von geringfügig Beschäftigten vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf enthält auch Regelungen zur digitalen Erfassung der Arbeitszeit in elf Branchen. Bei den elf Branchen handelt es sich um Branchen, die im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz aufgeführt sind.

Als Folge dieser Ereignisse fiel dann am 13. September 2022 ein Urteil: Von nun an besteht in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Die Präsidentin des obersten deutschen Arbeitsgerichts BAG, Inken Gallner, begründete die grundsätzliche Pflicht der Arbeitgeber, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen, mit der Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes nach dem o.g. Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2019.

Arbeitszeiterfassung: Die möglichen Folgen für Unternehmen

Doch was bedeutet dieses Urteil nun konkret für Unternehmen? Zunächst stellte das BAG nur fest, dass es eine Aufzeichnung der Arbeitszeiten geben muss. Wie diese konkret aussehen soll – etwa elektronisch oder per Niederschrift – müssen nun die zuständigen Politiker:innen entscheiden. Eine Sprecherin des Arbeitsministeriums erklärte, dass das EuGH-Urteil "keinen festen Zeitrahmen" für die Umsetzung der Arbeitszeiterfassungspflicht vorgibt. Es kann also noch einige Zeit dauern, bis ein entsprechendes Gesetz erlassen wird. 

Arbeitsrechtler:innen empfehlen den Unternehmen aber schon jetzt, die Arbeitszeiten Ihrer Beschäftigten zu dokumentieren und zu speichern, damit sie später nicht in die Nachweispflicht geraten.

In der Tat gehört die Arbeitszeiterfassung vor allem an Produktions- und Dienstleistungsstandorten bereits zum Arbeitsalltag – Stechuhren und dergleichen sind hier fester Standard, und die neue Pflicht zur Arbeitszeiterfassung kaum der Rede wert. Dennoch gibt es auch zahlreiche Unternehmen, in denen eine künftige Verpflichtung zur Zeiterfassung Befremden und regelrechte Panik auslöst, haben wir uns alle doch so an die neuen flexiblen Arbeitsmodelle gewöhnt.

Auch wenn eine solche Arbeitszeiterfassung etwas mehr Verwaltungsaufwand bedeutet, gibt es vorerst keinen Grund zur Panik, denn theoretisch schließen sich die neueren, flexiblen Arbeitsmodelle und Arbeitszeiterfassung rechtlich nicht aus. Der EuGH schreibt in seinem Urteil nämlich bloß vor, dass die Aufzeichnung zuverlässig, objektiv und leicht zugänglich sein muss. 

So könnten beispielsweise Mitarbeitende im Homeoffice ihre Arbeitszeiten bequem über ein Mitarbeiterportal erfassen. Im Idealfall werden die erfassten Daten automatisch ausgewertet und auf digitalem Weg direkt an das Lohnabrechnungssystem (z.B. DATEV) übergeben. Dies führt zu weniger Bürokratie und dem Wegfall manueller Verwaltungsprozesse. 

Grundsätzlich sollten Unternehmen bei der Zeiterfassung Folgendes beachten:

  1. Der/die Arbeitnehmende muss wissen, wo die Dokumentation der Arbeitszeiten konkret zu finden ist und welcher Beschäftigte im Unternehmen für sie zuständig ist.

  2. Der Arbeitszeitnachweis muss sowohl für den Arbeitgeber als auch für die Beschäftigten jederzeit einsehbar sein. 

  3. Zugang zu den Arbeitszeitdaten haben nur der Arbeitgeber, das zuständige Personal sowie die Beschäftigten selbst. Andere Personen sowie Ämter oder die Polizei müssen vorher um Einsicht bitten. 

Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass die EU-Datenschutzgrundverordnung bei der Arbeitszeiterfassung eingehalten wird.

Vor- und Nachteile der Arbeitszeiterfassung für Unternehmen

Was sind nun die konkreten Vor- und Nachteile, die sich für Unternehmen aus der Arbeitszeiterfassung ergeben können? Wir fassen für Sie zusammen: Hier finden Sie alle positiven und negativen Aspekte auf einen Blick. 

Mögliche Vorteile der Arbeitszeiterfassung für Arbeitgeber

Die Arbeitszeiterfassung kann ein paar entscheidende Vorteile für Arbeitgeber bieten – insbesondere dann, wenn sie moderne, digitale Software nutzen, um die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeitenden zu erfassen. 

  • Vereinfachte Lohnabrechnung: Eine moderne Zeiterfassungs-Software liefert alle erforderlichen Daten, mit denen die Gehaltsabrechnung am Ende des Monats erledigt werden kann. Arbeitszeiten und Überstunden müssen nicht einzeln berechnet werden, sondern werden automatisch in ein System übertragen und bieten Unternehmen einen Überblick über Fehlzeiten und Auslastung.

  • Bessere Einsatzplanung: Die Zeiterfassung ermöglicht es Unternehmen, ihr Personal effizienter einzusetzen. Durch die exakte Berechnung der Arbeitszeiten erhalten Unternehmen einen schnellen Überblick, welche Mitarbeitenden entlastet werden müssen oder noch Zeitreserven haben. Historische Daten über Abwesenheiten (z.B. Urlaubs- oder Krankheitstage) können zusätzlich helfen, den Personaleinsatz zu optimieren.

  • Mehr Transparenz: Der Arbeitgeber kann die Arbeitszeiten der Mitarbeitenden besser kontrollieren; es herrscht mehr Transparenz zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten, was wiederum zu mehr Vertrauen auf Arbeitgeberseite führen kann. 

  • Mehr Sicherheit: Rechtlich gesehen sind Unternehmen mit der Zeiterfassung auf der sicheren Seite. Dank der Arbeitszeiterfassung können sie gegenüber dem Gesetzgeber nachweisen, dass die Arbeits- und Pausenzeiten eingehalten wurden und riskieren so nicht, gegen Arbeitnehmerschutz- und Arbeitsgesetze zu verstoßen.

Denkbare Nachteile der Zeiterfassung von Mitarbeitern

Doch eine Arbeitszeiterfassung birgt auch gewisse Nachteile, einige davon finden Sie hier: 

  • Administrativer Mehraufwand: Die akribische Dokumentation der Arbeitszeiten führt zu bürokratischem Mehraufwand auf Seiten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Mit digitalen Tools lässt sich dieser jedoch in Grenzen halten.

  • Weniger Vertrauen: Während die Zeiterfassung das Vertrauen auf der Arbeitgeberseite erhöhen kann, kann sie es auf der Arbeitnehmerseite verringern. Denn: Zeiterfassungssysteme können bei Beschäftigten das Gefühl erzeugen, kontrolliert zu werden. 

  • Zeitorientierung statt Produktivität: Eine zu starke Fokussierung auf die Arbeitszeit kann sich negativ auswirken. Man bedenke: Ein:e Beschäftigte:r, der/die täglich acht Stunden im Unternehmen verbringt, muss nicht unbedingt auch volle acht Stunden produktiv sein. 

  • Gefährdeter Datenschutz: Wird die Arbeitszeit (und damit eventuell auch andere sensible Daten) in Unternehmen erfasst, können sich Arbeitgeber datenschutzrechtlich in Gefahr bringen. Damit dies nicht geschieht, sollten Unternehmen alle aufgezeichneten Daten anonymisieren und einen Datenschutzbeauftragten als Unterstützung hinzuziehen.

Letztlich bleibt abzuwarten, wie das endgültige Gesetz zur Arbeitszeiterfassung aussehen wird und welche tatsächlichen Konsequenzen sich für Unternehmen ergeben werden. Entwarnung kann zumindest dahingehend gegeben werden, dass ein zukünftiges Gesetz zur Arbeitszeiterfassung nicht nur einige Vorteile zu bieten hat, sondern flexible Arbeitsmodelle wohl auch weiterhin bestehen können. Wir werden Sie auf unserem Blog auf dem Laufenden halten.

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